Zunahme von Angsterkrankungen
Einleitung Angsterkrankungen
Wie viele Leute sind von Angsterkrankungen betroffen?
Die 12-Monatsprävalenz (also die Anzahl der Kranken dividiert durch die Anzahl der Untersuchten im entsprechenden Untersuchungszeitraum) von Angststörungen sind in der Europäischen Union mit rund vierzehn Prozent die am häufigsten vorkommenden psychischen Erkrankungen von Erwachsenen. Sie sind daher so häufig vertreten wie alle Schlafstörungen (7 %) und die Unipolare Depression (6,9 %) zusammen. In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass in Deutschland etwa 9,8 Millionen Patienten an einer Angststörung (F40, F41) leiden, wobei die generalisierte Angsterkrankung (generalized anxiety disorder, GAD) die am häufigsten diagnostizierte Angststörung mit knapp 2,7 Millionen Betroffenen ist [1]. Zusätzlich gibt es noch einmal so viele Personen, die mit einer mild- bis moderaten Form der GAD konfrontiert sind, die aber weder diagnostiziert noch behandelt werden. Interessant ist, dass Frauen doppelt so häufig von Angsterkrankungen betroffen sind wie Männer [2].
Was genau ist Angst eigentlich?
Im deutschen Sprachgebrauch wird zwischen den Begriffen Angst und Furcht differenziert. Angst wird im Duden als diffuses, undeutliches Gefühl des Bedrohtseins definiert, während mit dem Begriff Furcht eine konkrete Angst vor einer Gefahr oder einer Bedrohung assoziiert ist, wie etwa die Furcht vor einer Spinne. Furcht wird im Allgemeinen in der Fachsprache dahin als objektbezogen und Angst als unbegründet, nicht objektbezogen, verstanden.
Die physiologische Angstreaktion wird als Bedrohung, Bedrückung, Beklemmung oder Erregung wahrgenommen und schlägt sich im Körper des Betroffenen als Zittern, Schwitzen oder Erstarren nieder. Weiters kann es zu Herzrasen, Mundtrockenheit oder nassen/kalten Händen kommen.
Auf biochemischer Ebene wird die Angstreaktion hauptsächlich durch die körpereigenen Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) in den neuronalen Stoffwechselwegen vermittelt. Diese Stoffwechselwege stellen auch die Hauptangriffspunkte für die medikamentöse Therapie mit Psychopharmaka dar. Hier werden vor allem Medikamente aus der Gruppe der selektiven-Serotonin (SSRI), selektiven-Noradrenalin (SNRI) und selektiven Serotonin-Noradrenalin (SSNRI) Wiederaufnahme Hemmern und der Calcium Kanal Modulator, Pregabalin eingesetzt. Die GABAA Rezeptor Liganden, Benzodiazepine (BZD) können kurzfristig zur Kontrolle der Angstsymptomatik herangezogen werden [3].
Neben den vorgestellten Neurotransmittern sind Peptidhormone wie Cholezystokinin oder das atriale natriuretische Peptid und endokrine Stoffwechselwege, hier vor allem die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, sowie Chemorezeptoren (CO2-Rezeptoren) für eine physiologische Angstreaktion mitverantwortlich [3].
Ab wann wird von einer krankmachenden Angstreaktion gesprochen?
Die physiologische Angstreaktion ist für den menschlichen Körper überlebenswichtig, da sie uns hilft Gefahrensituationen mit erhöhter Vigilanz, also Achtsamkeit zu überstehen. Dauert nun aber eine Angstreaktion über einen längeren Zeitraum an, kann sich die physiologische Angstreaktion in einer pathologische Angstreaktion manifestieren. Um im Alltag den Übergang von einer physiologischen zu einer pathologischen Angstreaktion greifbar zu machen, sind in der Patientenleitline für Angststörungen folgende Punkte angeführt i) der Rückgang sozialer Interaktionen, ii) das Verschlechtern von psychischen Grunderkrankungen iii) die Kompensation der Angstreaktion durch Substanzen und natürlich iv) die Dauer der Beschwerden (Abb.1). Kennen Sie nun in Ihrem Bekanntenkreis oder Kundenstamm Personen, deren Verhalten auf diese Punkte zutrifft, können Sie diesen anraten sich an einen Spezialisten zu wenden, um das Problem anzusprechen [4].

Abbildung 1. Unterscheidung einer physiologischen oder pathologischen Angstreaktion. Die Patientenleitlinie definiert den Übergang von einer physiologischen zu einer pathologischen Angststörung über die Dauer der Störung, den Einfluss den die Störung auf soziale Interaktionen ausübt, das Verschlechtern von Grunderkrankungen und ob Substanzen zur Kompensation einer Angstreaktion verwendet werden.
Ursachen der Angst
Kann meine Angst auch durch eine Grunderkrankung ausgelöst werden?
Um die Ursachen der Angst genauer begründen zu können muss unterschieden werden, ob eine organische Grunderkrankung die Angst auslöst, eine Grunderkrankung angstähnliche Symptome auslöst oder die Angstursachen möglicherweise nicht-organisch bedingt sind [5]. In der Apotheke stellen wir natürlich keine Diagnosen, aber wir erarbeiten mit dem Kunden, ob bekannte Grunderkrankungen vorliegen oder ob die Angstreaktion aufgetreten ist, seit bestimmte Medikamente eingenommen werden oder Dosierungen umgestellt worden sind.
So können Medikamente, die auf lebenswichtige Organe wie z.B. das Herz oder die Lunge wirken, Todesängste auslösen, wenn sie nicht richtig arbeiten können, weil sie falsch angewendet werden. Zu nennen sind hier Inhalatoren für Lungenerkrankungen und Herz-Kreislauf Notfallmedikamente wie der Nitrolingualspray (Abb.2).
Inhalatoren die zur Behandlung von Lungenerkrankungen eingesetzt werden sind oft schwierig in der Handhabung und benötigen eine intensive Einschulung, damit die Krankheiten gut unter Kontrolle gebracht werden können. Diese Einschulung übernimmt vorwiegend der behandelnde Facharzt. Sie wird aber auch gerne von dem Apotheker vor Ort noch einmal wiederholt oder vertieft um etwaige Anwenderfehler tunlichst zu vermeiden.
Des Weiteren können Schilddrüsenhormonen leicht überdosiert werden und es so zu angstähnlichen Zuständen kommen. Hier ist eine präzise chronologische Einnahme für den Patienten entscheidend. Zudem wird die Aufnahme der Schilddrüsenhormone aus dem Verdauungstrakt leicht durch Nahrungsmittel beeinflusst, weshalb wir eine Einnahme morgens auf nüchternen Magen empfehlen. Diese Maßnahmen gewährleisten einen konstanten Hormonspiegel und Über- oder Unterdosierung können so gut vermieden werden.
Das periodische Nachfragen und Abklären der richtigen Einnahme von Dauermedikamenten stellt einen wichtigen Pfeiler der Patientenbetreuung in der Apotheke dar. Dies erhöht somit die Adhärenz zu der verschriebenen Arzneimitteltherapie und damit auch die Sicherheit im Umgang mit chemischen Arzneimittel.

Abbildung 2. Organische Angstursachen. Sind lebenswichtige Organe von einer pathologischen Veränderung betroffen, so kann sich beim Patienten mitunter Todesangst einstellen. Diese Todesangst kann durch das Behandeln der Ursache wieder zurückgehen. Sind bestimmte endokrine Organe durch eine pathologische Veränderung betroffen, können angstähnliche Symptome wie Zittern, Herzrasen, kalte Hände ausgelöst werden.
Einteilung von Angsterkrankungen
Wie werden Angsterkrankungen eingeteilt?
Können Angststörungen keiner konkreten organischen Grunderkrankung zugeordnet werden, sind sie als nicht-organisch bedingt einzustufen und werden so entsprechend der internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) in objekt-abhängige, phobische Störungen (F.40) und objekt-unabhängige andere Angststörungen (F.41) eingeteilt. Objekt-unabhängige Angststörungen können je nach Dauer und Häufigkeit des Auftretens akute oder chronische Verläufe einnehmen (Abb. 3) [5].

Abbildung 3. Ursachen der Angst. Vor der Diagnosestellung einer Angststörung werden das Vorliegen von organischen Grunderkrankungen oder die Einnahme von angstauslösenden Medikamenten ausgeschlossen. Sind die Ursachen der Angst nicht-organisch bedingt, kann der Facharzt die Angsterkrankung anhand der vorliegenden Symptome und Beschwerden klassifizieren und die richtige Therapie eingeleiten.
Zusammenfassung
Wir wissen jetzt, dass Angsterkrankungen häufig vorkommen und was genau in meinem Körper passiert, wenn ich mich fürchte oder Angst habe. Außerdem haben wir gelernt, dass es Grunderkrankungen oder Medikamente gibt, die angstähnliche Zustände verursachen können. Auf die Fragen, wie eine Angsterkrankung erkannt und im weiteren Falle auch richtig behandelt wird, gehe ich in meinem nächsten Beitrag ein und freue mich, weiter zur Aufklärung rund um das Thema „Angst“ beitragen zu dürfen.
Literatur:
[1] Wittchen HU et al. EurNeuropsychopharmacol2011;21:655–679.
[2] Wittchen HU, Jacobi F. DEGS Symposium, Robert Koch Institut, Germany, 2012.
[3] Bandelow B, Wiltink J, Alpers GW, Benecke C, et al.: Deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen. 2014. www.awmf.org/leitlinien.html.
[4] Rudolf S, Patientenleitlinie Behandlung von Angststörungen, 2014, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html.
[5] Kasper S et al. Angststörungen. Medikamentöse Therapie. Konsensus-Statement –State of the art 2018. CliniCum Neuropsy Sonderausgabe 2018.