Funktionelle Gastrointestinale Störungen

Allgemeines zur Verdauung

Der menschliche Verdauungsapparat ist faszinierend, da es durch ihn gelingt die für den Körper wichtigen Nährstoffe zu extrahieren und unverdauliches wieder auszuscheiden. Die Nahrungsaufnahme und -verarbeitung ist ein komplexer Prozess, bei dem Muskeln, Drüsen, Nerven und Organe fein abgestimmt zusammenspielen.

Wie funktioniert die menschliche Verdauung?

Die Nahrung wird über den Mund aufgenommen, mit den Zähnen zerkleinert, mit Speichel vermengt und über die Speiseröhre in den Magen gebracht. Hier hilft die Magensäure, dass Mikroorganismen (z.B. Bakterien) welche sich auf unserem Essen befinden abgetötet werden und das in der Nahrung vorhandene Eiweiß (Proteine) aufgespalten wird. Aus der Gallenblase und der Bauchspeicheldrüse werden dem Nahrungsbrei Enzyme und Hormone beigemengt, damit so die großen Nahrungsbestandteile in ihre Einzelmoleküle zerlegt und im Dünndarm vom Körper aufgenommen werden können. Das Mikrobiom im Dickdarm hilft uns, die für uns Menschen nicht verdaulichen Faserbestandteile der Nahrung, zu fermentieren damit sie dann in weiterer Folge ausgeschieden werden können. Des Weiteren wird im Dickdarm unser Wasserhaushalt reguliert. Aufgrund dieser Tatsache, ergibt sich eine Stuhlfrequenz, von dreimal am Tag bis zu dreimal pro Woche, die stark abhängig davon ist, was man isst, ob man gerade Stress hat, Medikamente einnehmen muss oder aber vielleicht eine akute Infektion durchmacht.            

Das erstaunliche dabei ist, dass wir bis auf die Ernährung und unseren Lebensstil den Vorgang der Verdauung nicht aktiv steuern können. Kommt es in diesem sensiblen Zusammenspiel nun zu einer Störung, so können Schmerzen, Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Völlegefühl oder Erbrechen auftreten.

Was können die organischen Ursachen für Magen-/Darmstörungen sein?

Organische Ursachen für diese Symptome können zum Beispiel bei leichteren Fällen durch eine Ernährungsumstellung oder eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ausgelöst werden. Stärker ausgeprägte Symptome können wiederum durch eine akute virale oder bakterielle Infektion verursacht werden. Des weiteren lösen Autoimmunerkrankungen wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn oder aber auch die Zöliakie ähnliche Symptome wie die oben beschriebenen akuten Erkrankungen aus, müssen aber völlig anders behandelt werden.

Wichtig zu wissen ist, dass man die Alarmsymptome erkennt, bei denen man umgehend einen Arzt aufsuchen muss. Diese sind ein nicht erklärbarer Gewichtsverlust, häufiges Übergeben oder Erbrechen von Blut, sowie Blut im Stuhl. Gibt es in der Familie eine Vorgeschichte mit Magen-/Darmkrebs, sollte auch bei leichteren Symptomen ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Tritt der Fall auf, dass man von außen eine Beule sieht oder ertasten kann, ist dies auch als Alarmsymptom zu werten und es muss umgehend ein Arzt kontaktiert werden (1).

Welche nicht-organischen Ursachen für Magen-/Darmstörungen gibt es?

Es kommt aber auch sehr häufig vor, dass Schmerzen, Verstopfung, Blähungen oder Durchfall auftreten, ohne aber dass eine organische Grunderkrankung vorliegt. 

In diesem Fall wird von funktionellen gastrointestinalen Störungen gesprochen, wo es zu einer komplexen bidirektionalen Dysregulation der Darm-Hirn Interaktionen über die Darm-Hirn Achse kommt. So herrscht bei betroffenen Personen eine viszerale Überempfindlichkeit vor und es kann zu abnormalen gastrointestinalen Bewegungen kommen, welche wiederum zu psychosozialen Beeinträchtigungen führen.

Das Modell der funktionellen gastrointestinalen Störungen existiert seit den späten siebziger Jahren und ist bis heute anerkannt (2), (3) und (4). Es wird aber auch immer wieder diskutiert ob nicht auch Mikroentzündungen an der Darmschleimhautoberfläche zu einer erhöhten Permeabilität derselben führen können und es so zu einer Immunaktivierung und in weiterer Folge zu den genannten Symptomen kommen kann (leaky gut syndrome). Welchen Einfluss das Mikrobioms diesbezüglich genau einnimmt ist noch nicht vollständig geklärt, aber man weiß, dass es eine große Rolle diesbezüglich spielt (5).

Bis die Ursachen der funktionellen gastrointestinalen Störungen vollständig geklärt sind, hilft der Rome-Diagnosekatalog – welcher mittlerweile in der vierten Iteration seit 2016 vorliegt – den behandelnden Ärzten, damit sie eine Diagnose für die Patienten finden und in weiterer Folge eine Behandlung einleiten können (6).    

Laut einer globalen Studie zufolge, sind über vierzig Prozent der Weltbevölkerung von mindesten einer funktionellen gastrointestinalen Störung betroffen (7). Von den 22 Diagnose, welche im Rome Diagnosekatalog zu finden sind, sind die funktionelle Dyspepsie (der Reizmagen, FD), das irritable bowel syndrome, (der Reizdarm, IBS), die funktionelle Verstopfung, die funktionellen Blähungen und der funktionelle Durchfall am häufigsten vertreten (7).

Welche Symptome sind bei der Diagnose Reizmagen zu finden?

Die Symptome des Reizmagens zeigen sich, dass es zu einer frühen Sättigung und zu einem Völlegefühl nach dem Essen kommt, obwohl nur eine kleine Menge Nahrung aufgenommen worden ist. Weitere Symptome sind saures Aufstoßen, Schmerzen hinter der Brust und Schmerzen im Oberbauch, welche als Druck oder Krampf oder aber auch als Aufgebläht sein wahrgenommen werden. Wichtig für die Diagnosestellung ist die Dauer der Symptome über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten, wobei sich asymptomatische Perioden und Episoden mit wiederkehrenden Symptomen abwechseln (8).

Welche Symptome sind bei der Diagnose Reizmagen zu finden?

Wie kann man den Reizmagen therapieren?

Die Therapie des Reizmagens erfolgt in erster Linie symptomatisch. So kann mit Protonenpumpeninhibitoren oder H2-Antihistaminika die basale Magensäureproduktion verringert, oder wenn nötig vorhandene Säure mittels Antacida direkt neutralisiert werden. Der Einsatz von Natriumalginat bewirkt, dass Magensäure nicht in die Speiseröhre aufsteigen kann, was zum Vorteil hat, dass der physiologisch wichtige niedrige pH Wert im Magen erhalten bleibt. Trizyklische Antidepressiva können helfen, die psychische Belastungssituation und eine damit einhergehende Depression oder auch Angstzustände zu verbessern. Der Bereich der Phytopharmaka spielt bei der Behandlung von Reizmagen eine riesige Rolle, da i) die Medikamente größtenteils nebenwirkungsarm oder sogar nebenwirkungsfrei sind, ii) sie mit einer bestehenden Grundmedikation verwendet werden können und iii) sie sicher in der Anwendung sind. Zur Behandlung stehen einerseits Zubereitungen aus ätherischen Ölen der Pfefferminze und des Kümmels oder aber wässrig-alkoholische Extrakte mit einem Anteil an Bitterstoffdrogen. Die ätherischen Öle zeigen einen spasmolytischen, karminativen, entschäumenden und schmerzstillenden Effekt. Die wässrig-alkoholischen Extrakten zeigen nicht so gute karminative Eigenschaften, haben dafür einen Einfluss auf die Anregung der Verdauung, eine spasmolytische Wirkung auf die Innereien Muskulatur und auch einen entzündungshemmenden Effekt an der Schleimhautoberfläche (8).

Wie kann man den Reizmagen therapieren?

Welche Symptome sind bei der Diagnose Reizdarm zu finden?

Die Symptome des Reizdarms stellen sich in erster Linie als wiederkehrende, intermittierende aber chronische Schmerzen im Unterbauch dar, die nach dem Stuhlgang gebessert werden. Abhängig von der Frequenz des Stuhlgangs und der Konsistenz des Stuhls werden die vier Formen des Reizdarmsyndroms i.e. i) Verstopfungs-Typ ii) Durchfall-Typ iii) gemischter-Typ und iv) nicht-klassifizierter-Typ unterschieden. Die Symptome treten an mindestens einem Tag pro Woche in den letzten drei Monaten auf. Wichtig bei der Diagnose des Reizdarmsyndroms ist, dass organische Grunderkrankungen wie das irritable bowel disease (Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa), Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -Allergien, sowie eine Zöliakie ausgeschlossen werden müssen (5).

Welche Symptome sind bei der Diagnose Reizdarm zu finden?

Wie kann man das Reizdarmsyndrom behandeln?

Die Anwendung von Phytopharmaka ist bei der Therapie des Reizdarmsyndroms essentiell und schulmedizinisch anerkannt. Hier haben sich wieder Zubereitungen aus ätherischem Pfefferminzöl und Kümmelöl, sowie wässrig-alkoholische Extrakte bewährt, welche für diesen speziellen Einsatzbereich auch studientechnisch gut untersucht sind.

Über die Schleimhaut protektive und motilitätsfördernde Wirkung von Prä-, Pro- und Synbiotika ist man sich soweit einig, es werden aber noch größere Studien benötigt um den genauen Wirkmechanismus erkunden zu können.

Zur symptomatischen Therapie des Durchfall-Typs werden der Motilitätshemmer Loperamid und der Enkephalinasehemmer Racecadotril verwendet. Loperamid hat den Vorteil, dass es in einer schnell verfügbaren galenischen Form (Schmelztablette) auf dem Markt ist und so schnell und diskret zu einer Linderung der Durchfallsymptomatik beitragen kann. Racecadotril wiederum zeichnet sich aus, dass es im Gegensatz zu Loperamid nur zu einer Sekretionshemmung und nicht zu einer Unterdrückung der Darmmotilität führt, was bei manchen Patienten reflektorisch zu einer Verstopfung führen kann.

Patienten, welche mehr unter dem Obstipations-Typ leiden, können auf stimulierende oder isoosmotische Laxantien zurückgreifen, die sich durch ihre unterschiedlichen Qualitäten auszeichnen. Isoosmotische Laxantien wie Macrogol können über einen längeren Zeitraum angewendet werden, das sie helfen, den Stuhl zu durchfeuchten und ihn dadurch gleitfähig zu machen. Weiters wird durch das Quellen des Stuhls mit Feuchtigkeit ein Dehnungsreiz im Dickdarm gesetzt, was wiederum zum Auslösen des Defäkationsreflexes führen kann. Bei hartnäckigen Verstopfungen, kann kurzfristig auf stimulierende Laxantien wie Bisacodyl oder Natriumpicosulfat zurückgegriffen werden um den Patienten Erleichterung zu verschaffen.

Zur Behandlung von Verkrampfungen im Magen-Darmtrakt werden die Spasmolytika Mebeverin und N-Hyoscinbutylbromid verwendet. Beide Arzneistoffe sind nur leicht abgewandelte Naturstoffe, deren natürliche Ausgangsstruktur im Schlafmohn (Mebeverin) oder in Nachtschattengewächsen (N-Hyoscinbutylbromid) zu finden sind.

Das Breitbandantibiotikum Rifaximin, welches aufgrund der schlechten Bioverfügbarkeit im Magen-Darmtrakt verbleibt und derzeit eine gute Resistenzlage aufweist, zeigt auch eine Besserung der Reizdarmsymptomatik bei Patienten. Allerdings ist noch nicht abschließend geklärt, ob neben der antibiotischen Wirkung nicht auch eine multifaktorielle Wirkung zu Tragen kommt (5).

Wie kann man das Reizdarmsyndrom behandeln?

Was versteht man unter dem Begriff Blähungen?

Im deutschen Sprachgebrauch wird unter dem Begriff Blähungen der Fachbegriff bloating und unter dem Begriff des aufgebläht seins der Fachbegriff distension verstanden. Bloating bezeichnet eine reine Gasansammlung im Magen-/Darmtrakt, wohingegen distension eine messbare Zunahme des abdominellen Umfanges mit sich zieht. Die Ursachen für eine distension können ein langsamer Stuhltransit, eine volle Blase, Verschlucken von Luft oder eine Akkomodationsstörung des Magens sein. Bloating wird hauptsächlich durch Gasakkumulation, eine Überempfindlichkeit des Abdomens oder durch eine mikrobielle Fehlbesiedelung des Dünndarms verursacht (9).

Wie kann man Blähungen behandeln?

Wie bei anderen funktionellen gastrointestinalen Störungen müssen auch hier i) Alarmsymptome, ii) andere funktionelle Magen-Darmbeschwerden, iii) eine mikrobielle Fehlbesiedelung des Dünndarms, iv) Nahrungsmittelunverträglichkeiten, v) kürzliche Gewichtszunahme, vi) Verstopfung oder vii) eine psychische Grunderkrankung ausgeschlossen werden. Ist dieser erste Schritt getan, geht die Empfehlung dahingehend, dass Bewegung und Atemübungen zur Bauchatmung angewendet werden um eine Besserung der Blähungssituation zu erzielen. Des Weiteren wird empfohlen eine Ernährungsumstellung auf eine low FODMAPs diet – also dem Verzichten auf alle fermentierbaren Kohlenhydrate und Zuckeralkohole in der Nahrung – durchzuführen. Natürlich kann jederzeit symptomatisch mit pflanzlichen oder chemischen Karminativa behandelt werden.

Führen diese Versuche zu keiner Besserung, werden Probiotika und das Breitbandantibiotikum Rifaximin eingesetzt, oder auch mit Antidepressiva, Psychotherapie, kognitiver Verhaltenstherapie oder mit Hypnose kann das Leiden gemildert werden (9).

Was kann ich gegen meine Bauchschmerzen machen?

Wir wissen, dass ein großer Teil der Bevölkerung von Bauchschmerzen oder Magen-Darmproblemen betroffen sind. Das heißt, dass man sich für diese Zustände nicht schämen muss und dass es am besten ist, wenn man relativ früh professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Der Apotheker ist ein guter Ansprechpartner, da ein Großteil der Medikamente oder Medizinprodukte zur Behandlung von funktionellen gastrointestinalen Störungen rezeptfrei in der Apotheke erhältlich sind und es hier die perfekte Beratung zur Produktauswahl gibt.

Literaturverzeichnis

1.       Black CJ et al. Lancet 2020, 396(10263):1664-1674. (PMID: 33049221)

2.        Engel GL. Science (New York, NY) 1977, 196(4286):129-36. (PMID: 847460)

3.        Drossman DA. Psychosom Med 1998, 60(3): 258-67. (PMID: 9625212)

4.        Van Oudenhove L et al. Gastroenterology 2016, 150(6):1355-67. (PMID: 27144624)

5.        Ford AC et al. Lancet 2020, 396(10263):1675-1688. (PMID: 33049223)

6.        Drossman DA et al. Gastroenterology 2016, 150(6):1257 61. (PMID: 27147121)

7.        Sperber AD et al. Gastroenterology 2021, 160(1):99-114. (PMID: 32294476)

8.        Chey WD et al. Clin Transl Gastroenterol 2019, 10(4):e00021.126. (PMID: 30939487)

9.       Mari A et al. Adv Ther 2019, 36(5):1075-1084. (PMID: 30879252)