Behandlung von Angsterkrankungen
Einleitung
In meinem letzten Beitrag haben wir gelernt, wie häufig Angsterkrankungen in der Gesellschaft vorkommen und was genau bei einer Angstreaktion im Körper vorgeht. Des Weiteren haben wir beleuchtet, welche Ursachen es für Angstreaktionen gibt und wie diese eingeteilt werden. Heute möchte ich mit euch erarbeiten, wie man die unterschiedlichen Angsterkrankungen erkennen, unterscheiden und dann in weiterer Folge richtig behandeln kann.
Unterschiede zwischen verschiedenen Angsterkrankungen
Wie kann man Angsterkrankungen voneinander unterscheiden?
Die objektabhängigen, phobischen Angsterkrankungen (F40.) werden häufig frühzeitig diagnostiziert, weil die Angstreaktionen genauen Situationen zugeordnet sind. Die betroffenen Personen sind oftmals rascher bei Fachärzten vorstellig, weil sich die Angstreaktion immer auf eine akute Situation oder ein Objekt z.B. eine Spinne begrenzt und nach Entfernen des Objekts dann auch wieder abklingt.
Bei objektunabhängigen, anderen Angsterkrankungen (F41.) können die Angstreaktionen keinen definierten Situationen zugeordnet werden. Hier kommt es beispielsweise bei Panikstörungen (F41.0) situationsunabhängig zu wiederkehrenden, schweren Angst- oder Panikattacken. Diese Attacken sind nicht vorhersehbar und gehen mit einem Gefühl des Kontrollverlustes und der Furcht zu sterben einher. Panikstörungen können als eigenständige Erkrankung oder als sekundäre Folge einer Depression auftreten (1).
Die Symptome der generalisierten Angsterkrankung (F41.1; = generalized anxiety disorder [GAD]) sind im Vergleich zu den Panikstörungen oder den phobischen Angsterkrankungen deutlich subtiler. Die betroffenen Personen fühlen sich häufig nervös oder angespannt, sind ständig besorgt und befürchten oft, dass ein Unglück passieren könnte. Verstärkend kommt hinzu, dass diese Gefühle nicht unter Kontrolle zu bringen sind und sich deshalb für die Patienten ein großer Leidensdruck aufbaut (1) (Abb. 1).

Näheres zur generalisierten Angsterkrankung (GAD)
Wie kann man die generalisierte Angsterkrankung diagnostizieren?
Obwohl die Symptome einer generalisierten Angsterkrankung für den Außenstehenden am Anfang vielleicht etwas vage und allgemein anmuten, ist die generalisierte Angsterkrankung eine eigenständige Erkrankung, welche klar als solche diagnostiziert wird. Hierfür bestehen die übermäßigen Ängste und Sorgen über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten, die betroffene Person hat Schwierigkeiten diese Sorgen zu kontrollieren und mit dem Leiden werden mindestens drei der sechs Leitsymptome assoziiert, welche in Abbildung 2 in der rechten Spalte angeführt sind (2).
Berichten die Patienten über Symptome der Angst und übermäßige Sorgen über einen Zeitraum von mehr als drei aber weniger als sechs Monaten und werden mindestens zwei von den in Abbildung 2 genannten Leitsymptomen wahrgenommen, so wird von einer milderen Form der GAD, der subsyndromalen Angststörung, gesprochen (3).

Wie wird die generalisierte Angsterkrankung behandelt?
Die Behandlung der GAD wird leitliniengerecht mittels Medikamente, einer geeigneten Psychotherapieform oder aber auch aus einer Kombination von beiden vorgenommen. Die Auswahl des Behandlungsschemas und der Medikamente sollte sich nach den Bedürfnissen der zu behandelnden Personen richten. So können Überlegungen angestellt werden, dass Begleitsymptome wie Schlafprobleme mitbehandelt werden. Es kann aber auch versucht werden, allenfalls auftretende Nebenwirkungen, wie rasche Gewichtszunahme oder Einfluss der Medikamente auf das Sexualleben, mit einem Wechsel des Präparates hintanzuhalten (4).
Medikamente gegen die generalisierte Angsterkrankung
Serotonin und Noradrenalin als Hauptangriffspunkte für die Therapie
In meinem vorangegangenen Beitrag habe ich die Neurotransmitter und Stoffwechselwege vorgestellt, die bei Angsterkrankungen eine tragende Rolle spielen. Zu nennen sind hier die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin, deren Konzentration im synaptischen Spalt durch Arzneistoffe moduliert wird.
Zur Anwendung kommen die selektiven-Serotonin (SSRI) oder selektiven-Noradrenalin (SNRI) Wiederaufnahme Hemmer Escitalopram und Paroxetin oder Duloxetin und Venlafaxin. Diese Arzneistoffe zeigen laut Studienlage die höchste Evidenz zur Behandlung der generalisierten Angststörung und werden daher von der Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen für die medikamentöse Therapie empfohlen (4).
Die Wirkweise dieser Arzneimittel beruht auf einer Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin oder Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt, wodurch es zu einem Anstieg der Konzentration dieser Neurotransmitter kommt. Mit dem Anstieg der Neurotransmitter ist allerdings noch kein Verbessern der Symptomatik zu erwarten, denn der antidepressive und angstlösende Effekt tritt häufig erst nach einer Zeit von ca. zwei bis drei Wochen ein. In dieser Zeit reduziert sich durch das Überangebot an Neurotransmitter die Anzahl und Dichte der Serotonin und/oder Noradrenalin Rezeptoren im synaptischen Spalt. Dieses Mehrangebot in Kombination mit der verminderten Rezeptordichte führt wiederum zu einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Neurotransmittermoleküle.
Diese Anfangszeit der Therapie kann als belastend wahrgenommen werden, weil hier meist noch keine Verbesserung der Angstsymptomatik zu erkennen ist. Vielmehr kann die erhöhte Serotonin- oder Noradrenalinkonzentration als unangenehm empfunden werden, da Zittern, Schwitzen, schneller Puls oder Kopfschmerzen damit verbunden sind. Ist diese Phase der Therapie überstanden werden die unerwünschten Arzneimittelwirkungen weniger oder im Idealfall gar nicht mehr wahrgenommen.
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Ich mache meine Kunden gerne auf dieses Phänomen aufmerksam, da sie sich dann darauf einstellen können. Dies hat zur Folge, dass die Therapie nicht aufgrund einer vorübergehenden unerwünschten Arzneimittelwirkung vorzeitig abgebrochen und die Therapietreue dadurch verbessert wird.
Welche Aufgabe hat die Gamma Aminobuttersäure?
Die Gamma Aminobuttersäure (GABA) zählt zu den wichtigsten inhibitorischen Botenstoffen des Körpers. Zur Behandlung von Angsterkrankungen wird daher auch der Calciumkanal Modulator Pregabalin verwendet (4). Pregabalin erhöht indirekt die GABA Konzentration im synaptischen Spalt durch die Freisetzung von GABA aus den Speicherorten, die sich in den vorgeschalteten Nervenzellen befinden. Dadurch kommt es in der nachgeschalteten Nervenzelle zu einem vermehrten Einstrom von Chloridionen und die Aktivität derselben wird verringert. Das erklärt den dämpfenden Effekt von Arzneimitteln, welche auf das GABAerge System Einfluss nehmen.
Im Gegensatz zu Pregabalin binden Benzodiazepine direkt zwischen zwei Untereinheiten des GABAA Rezeptors und bewirken eine höhere Affinität für GABA an seinem eigenen Rezeptor. Die Wirkung von GABA wird dadurch deutlich verstärkt und es kommt zu einer intensiven, dämpfenden Wirkung im zentralen Nervensystem. Eine angstlösende und beruhigende Wirkung sind die Folge der Anwendung.
Sowohl die deutsche AWMF Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen (4), als auch das Konsensus Statement der österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (5) verweisen darauf, dass die Verwendung von Benzodiazepinen nur kurzfristig und unter einer sorgfältigen Nutzen-Risikoabwägung zur Kontrolle der Angstsymptomatik herangezogen werden dürfen. Gründe hierfür sind die schnelle Gewöhnung an den Effekt, die starke körperliche und geistige Abhängigkeit und der damit einhergehende sehr reale und starke Missbrauch, der von diesen und ähnlich wirkenden Substanzen ausgeht. Die genannten medikamentösen Therapieoptionen verbessern die Angstsymptomatik und tragen so positiv zu einer Therapie bei. Die Unterschiede der Wirkstoffe, die üblich angewendeten Tagesdosierungen und eine exemplarische Darstellung des synaptischen Spaltes sind in Abbildung 3 angeführt.

Abbildung 3. Wirkweise und Dosierungen von angstlösenden Medikamenten. Der synaptische Spalt zwischen zwei Nervenzellen ist der Hauptwirkort der Medikamente, die gegen Angstsymptome eingesetzt werden. Die Wirkstoffe sind so dosiert, dass sie effektiv die Symptome lindern, aber ungefährlich in der Anwendung sind.
Zusammenfassung
Wir haben jetzt gelernt, dass man Angsterkrankungen mit sehr präzisen Fragestellungen an den Patienten voneinander unterscheiden und so auch gut diagnostizieren kann. Ist man bei einer Diagnose angelangt, wird die Behandlung durch den Facharzt nach aktuellster Studienlage durchgeführt, kann aber auch für bestimmte Anforderungen angepasst werden. Was passiert aber mit den Personen, die sich nicht trauen über ihr Empfinden mit einem Arzt zu sprechen bzw. einen solchen aus diversen anderen Gründen nicht aufsuchen? Viele Leute suchen dann selbst nach Antworten und kommen mit ihren Wünschen in die Apotheke. In meinem nächsten Beitrag möchte ich gerne die Chancen und Grenzen der Selbstmedikation beleuchten und euch vor allem einen Einblick geben, welche Pflanzen hierfür verwendet werden können.
Literatur
(1) Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unter Beteiligung der Arbeitsgruppe ICD des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), ICD-10-GM Version 2020, Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Stand: 20. September 2019, www.dimdi.de – Klassifikationen – Downloads – ICD-10-GM – Version 2020.
(2) Diagnostic and statistical manual of mental disorders DSM-V-5th edition. American Psychiatric Association 2013.
(3) Volz HP et al. J Neurol Neurochir Psychiatr 2011;12(4):162–167.
(4) Bandelow B, Wiltink J, Alpers GW, Benecke C, et al.: Deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen. 2014. www.awmf.org/leitlinien.html
(5) Kasper S et al. Angststörungen. Medikamentöse Therapie. Konsensus-Statement – State of the art 2018. CliniCum neuropsy Sonderausgabe 2018.